Erneut erschüttert ein Skandal bei der Versorgung mit parenteralen Zubereitungen die Republik. Viele landesweite Medien (u.a. Panorama, Zeit online) berichteten ausführlich über die Vorfälle in Hamburg. Aus Sicht der ARGE PareZu bedarf es einer unaufgeregten Einordnung der Vorgänge, damit die richtigen Konsequenzen gezogen werden können. Als Resultat fordert die ARGE PareZu den Gesetzgeber auf, überregionale MVZ-Strukturen zu verbieten. Ebenso fordern wir ein Verbot der Beteiligung von Finanzinvestoren an versorgungsrelevanten Strukturen und, im Interesse der Patienten, ein klares Bekenntnis zu regionalen Versorgungsstrukturen.
Am 17.12.2019 wurden von der Hamburger Staatsanwaltschaft insgesamt 58 Objekte durchsucht, etwa 480 Beamte waren im Einsatz. Es wurden rund 1000 Kartons mit Unterlagen und rund 100 Mobiltelefone, PCs und Speicherkarten zur Auswertung durch die Staatsanwaltschaft sichergestellt. Als Gesamtschaden werden von der Behörde mindestens 8,6 Millionen Euro angegeben, andererseits wird aber eine Patientengefährdung zurzeit verneint. Beide Aussagen können durchaus angezweifelt werden.
So ergibt sich der „Schaden“ für die Krankenkassen allein aus der juristischen Überlegung, dass, sollte das gesamte MVZ-Konstrukt illegal sein, auch deren einzelne Abrechnungen unzulässig wären. Auch wenn die Arzneimittel korrekt geliefert wurden…
Sicher scheint aber, dass durch MVZ-Konstrukte, deren Legalität zu hinterfragen ist, onkologische Praxen, bzw. deren KV-Sitze mit dem Ziel gekauft wurden, deren Versorgungsverhalten zu steuern. Dabei sollen möglichst große Marktanteile kontrolliert und die eigenen Gewinne aus dem Einkauf der Ausgangsprodukte und aus der Versorgung der Praxen gesteigert werden. Dies geschieht mit kräftiger finanzieller Unterstützung meist ausländischer Finanzinvestoren, die ihrerseits eine klare mittelfristige Gewinnerzielungsabsicht verfolgen, meist mit der Intention, ihr Investment nach einigen Jahren mit Gewinn weiterzuverkaufen. So werden Teile unseres Gesundheitssystems als Spekulationsobjekt missbraucht. Dazu wird hart an der Grenze des §299a Strafgesetzbuch (Bestechlichkeit im Gesundheitswesen) gearbeitet. Damit Onkologen ihre Selbstständigkeit freiwillig aufgeben, werden erhebliche Summen für Zulassungssitze und entsprechend attraktive Beschäftigungsmodelle geboten. Dieser Aufwand muss sich seinerseits rechnen. Deshalb gibt es auch Bonusmodelle für die angestellten Ärzte und deshalb sollten die Umsatzzahlen der gekauften Praxen möglichst steigen. Nimmt eine derartige Konstellation Einfluss auf das Verordnungsverhalten? Bekommt der zu behandelnde Patient was er braucht oder eher das, was dem gesamten, rein finanziell motivierten Konstrukt dient?
Da es sich in der Regel um schwerkranke Patienten handelt, es zudem eine gewisse Therapiefreiheit des behandelnden Arztes gibt, werden Behandlungsfehler wohl kaum nachweisbar sein. Aber der Verdacht unnötiger Mehrbehandlungen oder gewinnorientierter Arzneimittelauswahl liegt nahe. Ist das keine Gefährdung der Patientengesundheit?
Sehr sicher eine Gefährdung der Patientengesundheit ist aber die mit diesen Machenschaften einhergehende Zentralisierung der Versorgung. Immer mehr kleine herstellende Apotheken werden aus dem Markt gedrängt, weil sie nicht über den gleichen finanziellen Background verfügen und weil sie sich an die sinnvolle und klare Trennung ärztlicher und pharmazeutischer Aufgaben halten. Die Folge: Wohnortnahe Reinraumlabore werden geschlossen. Das wiederum führt zu längeren Transportwegen bei der Versorgung, die es in entsprechenden Fällen praktisch unmöglich machen, die Haltbarkeitsangaben der Fachinformationen einzuhalten. Alle Vorteile einer zeit- und raumnahen Herstellung (z.B. Vermeidung von Fehlproduktionen; direkte, persönliche Verantwortlichkeiten) verschwinden und zu allem Überfluss wird es billigend in Kauf genommen, dass bei empfindlichen Wirkstoffen Teile der Wirkung durch mechanischen Stress und/oder Temperaturschwankungen während des Transportes verloren gehen können. Das kann nicht im Interesse der Patienten liegen!
Deshalb dürfen die im Raum stehenden Vorwürfe der Bestechlichkeit und der Korruption nicht als Kavaliersdelikte oder als Einzelfall behandelt werden. Nicht nur, dass auch dem Staat durch Gewinnverschiebungen ins Ausland Steuerzahlungen entgehen – es geht um die grundsätzliche Orientierung unseres Gesundheitssystems: Nicht Geld, nicht der reine Kommerz, sondern die Arzneimittelsicherheit und damit die Patienten sollten im Mittelpunkt stehen. Der Gesetzgeber muss handeln!