Gestern wurde zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem DAV vor dem 9. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg ein Vergleich über die Klage des DAV gegen die Schiedsstelle nach § 129 Abs. 8 SGB V geschlossen und das Verfahren damit beendet. Die ARGE PareZu bewertet das Ergebnis, das der DAV für die zubereitenden Apotheken verhandelte, als zwar „gut gemeint“, aber in der Gesamtbetrachtung für die Zukunft als untragbares und unkalkulierbares Risiko.
So wurde zwar die Rückwirkung des Schiedsspruches vom 19.01.2018, der in seiner ursprünglichen Fassung ab dem 01.11.2017 hätte gelten sollen, durch den Vergleich aufgehoben. Da es sich bei der rückwirkenden Preissenkung ohnehin um einen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte einmaligen Vorgang gehandelt haben dürfte, ist dies prinzipiell zu begrüßen. So hätte eine Neuberechnung aller in den drei Monaten betroffenen Fälle durch die verschiedenen Krankenkassen für alle Beteiligten zu einem erheblichen Mehraufwand und in der Folge auch zu vielen juristischen Auseinandersetzungen geführt, die sich womöglich jahrelang hingezogen hätten.
Andererseits beinhaltet der Vergleich aber eine neue rückwirkende Regelung – warum auch immer. Deren Konsequenzen können zum jetzigen Zeitpunkt weder abgeschätzt, noch vermieden werden. So wurde dem GKV-Spitzenverband zugestanden, dass er für alle Neueinführungen nach dem 01.02.2018 erst eine Preisabfrage durchführen kann und die dann vereinbarten Preise rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Markteinführung gelten würden. Letztlich bedeutet dies, dass jede Neueinführung für die herstellenden Apotheken zu einem finanziellen Risiko ungeahnten Ausmaßes werden kann. Denn weder sind zum Zeitpunkt der Markteinführung künftige Rabatte, die dann der GKV-Spitzenverband nach 12 oder auch 24 Monaten ermittelt, vorhersehbar noch sind diese Rabatte für die betroffenen Apotheken rückwirkend erzielbar. Preisverhandlungen sind seit jeher dynamische Prozesse und Preise sinken langsam, mit der Zeit, nicht am Tag der Markteinführung. Geht man davon aus, dass weiterhin innerhalb von 12 Monaten durch die Krankenkassen retaxiert werden muss, was bei der Formulierung der Vergleichsvereinbarung auch strittig sein könnte, bedeutet der gestern geschlossene Vergleich für die zubereitenden Apotheken: Man tauscht die finanzielle Unsicherheit von 3 definierten Monaten rückwirkender Preissenkung bei einer definierten Menge an Wirkstoffen und in definierter Höhe gegen eine unbefristete, jeweils mindestens 12 monatige finanzielle Unsicherheit bei einer unbekannten Anzahl an künftigen Wirkstoffen und in unbekannter Höhe, die rückwirkend wahrscheinlich die erzielten Rabatte deutlich übersteigt. Es stellt sich die Frage, wer unter diesen Bedingungen künftig das Risiko der Zubereitung neuer Wirkstoffe überhaupt noch eingehen sollte?
Mehr noch: Die Unschärfe der Formulierungen im letzten Punkt lässt jede Menge Spielraum für Missverständnisse und Fehlinterpretationen, die leicht die Finanzierung des spezialisierten Großhandels und der gesamten Distributionskette in Frage stellen könnten. Dies ist höchstwahrscheinlich von keiner Partei geplant, im Ergebnis jedoch hoch riskant und potentieller Anlass weiterer existenzbedrohender Auseinandersetzungen. Es zeigt deutlich, dass die Vielzahl an Regelwerken die Überschaubarkeit der Auswirkungen von Änderungen massiv behindert.
Prinzipiell sind Kompromisse das Handwerkszeug jeder Demokratie und zu begrüßen. Sie ersparen langwierige Auseinandersetzungen und sind in der Regel für alle Parteien tragbar. Ähnlich verhält es sich mit Vergleichen vor Gerichten, auch Landessozialgerichten. Dieser Vergleich ersetzt aber eine unsinnige Rückwirkung gegen eine andere, die noch dazu unkalkulierbar ist.
Es bleibt nur die Hoffnung, dass möglichst bald eine komplett neue Hilfstaxe vereinbart wird.
Gez.
Dr. Thomas Wellenhofer Dr. Franz Stadler